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Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät

Professur für englische Literaturwissenschaft – Prof. Dr. Florian Klaeger

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Forschung

Schwerpunkte

  • literarische Form
    (hier zum DFG-Netzwerk 'Form in Dialogue')

  • britische Literatur und Kultur der frühen Neuzeit

  • diasporisches Schreiben

  • Literatur und Wissen, insbes. literarische Astrokultur

  • britisches Drama und Theater im 20. und 21. Jahrhundert


Poetik und Astronomie im England der frühen Neuzeit

Kosmopoetisches Formwissen: Astronomie, Poetik und Ideologie in England, 1500—1800Einklappen

(2019—23, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft)

Das Projekt untersucht, wie im frühneuzeitlichen England (1500—1800) Wissensbestände in den Bereichen der Astronomie, der Poetik und der Politik über Formverfahren transferiert werden. Es geht aus von der Beobachtung, dass Wissen erst über seine formale Verfasstheit Autorität erlangt, und dass diese Autorität auf andere Bereiche ausstrahlt, in denen ähnliche Formen zur Anwendung kommen. In diesem Sinn postuliert es ‚Formwissen‘ als zentralen wissenschaftshistorischen Faktor neben ‚Sachwissen‘ und ‚Personenwissen‘ (vgl. Shapin, A Social History of Truth). Konkret untersucht es, wie im frühneuzeitlichen England astronomisches Wissen vermittelt wird und wie die dabei verwendeten Formen ebenso wie das Wissen selbst ideologisch bzw. poetologisch aufgeladen werden. Das Textkorpus umfasst zum einen die immens populäre Gattung des Almanachs sowie ebenfalls an ein breites Publikum gerichtete astronomische Lehrbücher – Textsorten also, in denen astronomisches Wissen pragmatisch aufbereitet und zugleich oft ideologisch operationalisiert wird. Ihre Formverfahren werden in Beziehung gesetzt mit ebenfalls wertenden Aussagen zur dichterischen Form in Poetiken und Rhetoriken. Die Gattung des Lehrgedichts schließlich vereint poetologische Selbstreflexion, astronomische Wissensvermittlung und ideologische Aufladung.

Die bei der Schaffung und Vermittlung astronomischen Wissens verwendeten Formverfahren sind nicht als bloßes Symptom gesellschaftlicher Umstände zu betrachten, sondern als Einflussnahme darauf. Dabei vermitteln die Formen – so z.B. die (neu-)platonische Einheit des Kosmos, die Hierarchie der Himmelskörper oder die Sphärenharmonie – Geltungsansprüche, die ihre Wirksamkeit nicht ursächlich aus dem astronomischen Gegenstand beziehen, sondern aus den Sphären der Gesellschaft und der Dichtung. Die astronomische ‚Evidenz‘ belegt dann im Umkehrschluss die Legitimität der irdischen Strukturen oder verlangt nach einer Umdeutung bestimmter Formen. Die ideologische Vereinnahmung astronomischer Phänomene lässt sich besonders in der volkstümlichen Textform des Almanachs und an astronomischen Lehrbüchern nachvollziehen. Anhand von Poetiken und Rhetoriken – und damit an Institutionen des emergenten Systems ‚Literatur‘ – wird überprüft, welche epistemologischen und ontologischen Implikationen das Imaginieren fremder Welten für frühneuzeitliche Mimesis- und Autorschaftskonzepte hat. Aus dieser Doppelperspektive, die in der Textsorte des Lehrgedichts vereint ist, wird nachvollzogen, welche Formverfahren frühneuzeitliche Texte auf astronomische Wissensbestände zur Anwendung bringen – wie also astronomisches Wissen aufgrund von poetischen Annahmen formal konstituiert wird. Umgekehrt ist zu beschreiben, welches Formwissen die Gegenstände, Methoden und Techniken der Neuen Wissenschaft bereitstellen und wie das Wissen von und über Formen sich durch die Neue Astronomie wandelt. Die ideologische Aufladung und identitätsstiftende Funktion solcher Formen wird mit Blick auf Geschlechter-, Standes- und Konfessionskollektive sowie auf die nationale englische und transnationale europäische Selbstwahrnehmung untersucht.

Zur Projektwebsite

Bildnachweis:
Petrus Apian, Astronomicum Caesareum, Ingolstadt 1540 (Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 821 a, fol. F.iii.v)

Lehrdichtung und Poetik in England und Deutschland von der Renaissance bis zur AufklärungEinklappen

(2024—2027, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und - für die britischen Projektteile - den Arts and Humanities Research Council)

Das Verbundprojekt mit der Universität Marburg (Hania Siebenpfeiffer), der University of York (Kevin Killeen) und der Anglia Ruskin University (Cassandra Gorman) untersucht die poetische Vermittlung von naturphilosophischem Wissen z.B. aus der Geologie, Astronomie und Botanik in frühneuzeitlicher Lehrdichtung. Als die modernen Naturwissenschaften im 17. und 18 Jahrhundert entstanden, bediente man sich der Dichtung, um das neue Wissen zu vermitteln. Die geplante Auseinandersetzung mit einer Vielzahl bislang weitgehend unerforschter englischer und deutscher Lehrgedichte beleuchtet eine wichtige Facette der Kultur von der Renaissance bis zur Aufklärung: die enge Verbindung des Wissens über die Natur mit dem Wissen der Dichtung. Letztere bot sich an, um neuen Ideen Form zu geben und sie so zu legitimieren. In der Lehrdichtung (die auf antike Vorbilder zurückgriff, aber auch eigene frühneuzeitliche Ausprägungen entwickelte) wurden physische und metaphysische Sachverhalte in einer Weise fruchtbar gemacht, die andere Textformen nicht leisten konnten. Dichtung wurde nicht als bloßes Ornament begriffen, sondern sie vermochte es, die unsichtbaren Strukturen der Welt zu enthüllen.

Diese Funktion der Dichtung, neuem Wissen poetischen Ausdruck zu verleihen, wurde durch die zeitgleich entstehende Literaturkritik theoretisiert. So hatte die 'Neuerfindung' der Lehrdichtung einschließlich ihrer Kosmopoetik, Theopoetik und Physiktheologie großen Einfluss auf die Herausbildung der Ästhetik im 18. Jahrhundert. Die Untersuchung zielt darauf ab, diese parallele Entwicklung zwischen frühneuzeitlicher 'Literaturtheorie' und den Naturwissenschaften näher zu beleuchten. Neben der volkssprachlichen und der neulateinischen Lehrdichtung erforscht das Projekt ein Korpus unbekannter und größtenteils nur im Manuskript vorliegender Dichtung von Frauen, die theologisch-naturwissenschaftliches Wissen teils auf überraschende Weise formulieren und einsetzen. Das Projekt schließt damit eine Lücke in der deutschen und britischen Forschung, denn obwohl die Forschung sich seit einiger Zeit mit der 'Poetologie des Wissens' beschäftigt, blieb sie bislang vornehmlich auf die volkssprachliche Prosa späterer Epochen und auf männliche Autoren konzentriert. Das Projekt will demgegenüber den poetisch-reflexiven Eigenwert der Lehrdichtung für die Vermittlung naturphilosophischen Wissens sowie den wichtigen Beitrag von Lyrikerinnen aufzeigen und eine Geschichte der Wissenschaftsdichtung nachzeichnen, die im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Ein weiterer blinder Fleck der Forschung, den das Projekt untersucht, ist die Zirkulation von poetischem und wissenschaftlichem Wissen zwischen England und Deutschland während der europäischen Frühaufklärung.

Die Bayreuther Projektsäule fokussiert auf die Poetik der Lehrdichtung, also darauf, wie die Formen und Funktionen der Lehrdichtung reflektiert und theoretisiert wurden. Anhand von reflexiven Kommentaren in der Lehrdichtung selbst, aber auch in Poetiken, Kritiken und paratextuellen Kommentaren wird untersucht, worin genau der Mehrwert bestimmter Formen gesehen wurde, was man sich von der 'Poetisierung' naturphilosophischen Wissens versprach, und wie Vergleiche mit den entstehenden Naturwissenschaften das Verständnis vom Wesen und Zweck der Literatur beeinflussten.

Zur Projektwebseite an der University of York (extern)


Verantwortlich für die Redaktion: Univ.Prof.Dr. Florian Klaeger

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